Theresienstadt

Bedřich Fritta, Gebetsraum und Theater

Karel Reiner wurde zusammen mit seiner Frau Hana am 5. Juli 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert, das ausländischen Gästen als selbstverwaltetes „Ghetto“ vorgeführt wurde. Nach seiner Ankunft musste er erst einmal hundert Tage körperliche Arbeit leisten. Die Nazis verstanden das als Erziehungsprogramm. Ihrer Rassenlehre zufolge waren Juden nämlich grundsätzlich arbeitsscheu, deshalb betätigten sie sich als Geldverleiher, Schieber, Intellektuelle und Kapitalisten. Reiner wurde Mitte Oktober aus der Zwangsarbeit entlassen. Hana war unterdes als Betreuerin tätig. In Theresienstadt gab es 11.000 Kinder und Jugendliche, die in „Kinderheimen“ interniert waren. Da sich Hana in der Heimhierarchie nach oben gekämpft hatte, schaffte sie es, Karel ebenfalls als Betreuer unterzubringen. Er hatte bereits Erfahrung aus Prager Kinderheimen. Im „Kinderheim 0609“ kümmerte sich um drei Zimmer mit Jungen im Alter von zwölf bis zwanzig Jahren. Er probte mit ihnen Märchenspiele, außerdem Lieder aus dem Zyklus „Das Blumenpferd“. Unterricht war dort streng verboten. Karel Reiner engagierte sich auch in der jüdischen Selbstverwaltung und arbeitete dort in der Abteilung „Freizeitgestaltung“, wozu auch kulturelle Veranstaltungen gehörten, die aufgrund der vielen prominenten Künstlern ein hohes Niveau erreichten.

Otto Ungar, Theater in Theresienstadt

Die SS-Kommandantur nutzte das zu Propagandazwecken und sah darin im Übrigen ein Ventil für die Gefangenen, um Ruhe und Ordnung im Lager aufrecht zu erhalten. Das wichtigste Stück, bei dem Karel Reiner die szenische Musik schuf und mit den Schauspielern Lieder einstudierte, war „Esther“, ein Volksschauspiel mit Tanz und Musik. Es verband biblische Motive mit Traditionen des Nachbarschaftstheaters. Regie führte Norbert Frýd, dem 1945 die Flucht aus dem KZ Dachau gelang und der danach als Schriftsteller, Rundfunkredakteur und Kulturattaché arbeitete. Die Kostüme entwarf der bekannte Prager Bühnenbildner František Zelenka. Sein Leben endete in Auschwitz. Es gab kaum Zensur in Theresienstadt. Die Nazi-Schergen verhielten sich relativ gleichgültig gegenüber dem, was ihre Opfer kulturell im Lager trieben. Verboten wurde allerdings die Oper „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“, eine hellsichtige Parabel auf den Tod, der sich am Ende gegen die Mörder wendet. Die Autoren Viktor Ullmann und Peter Kein endeten ebenfalls in Auschwitz. Die Oper wurde 1975 in Amsterdam uraufgeführt. Karel, Hana und die anderen Betreuer mochten sich um die Kinder kümmern, soviel sie wollten, sie konnten damit am Ende ihren Tod in Auschwitz nicht verhindern, für den sie selbst ebenso ausersehen waren. Sie taten trotzdem ihr Bestes. Von den Kindern, die das Lager Theresienstadt durchliefen, blieben keine 2.500 am Leben. Die unter Vierzehnjährigen landeten erbarmungslos in den Gaskammern.

Die Kinder von Theresienstadt
Plakat aus der Ghettozeit zum Volksschauspiel „Esther“
Kostümskizzen zum Volksschauspiel „Esther“ von František Zelenka

Das Volksstück „Esther“, in dem die jüdische Königin durch ihr mutiges Auftreten ihr Volk vor der Ausrottung rettet, war bereits vor dem Krieg entstanden und in E. F. Burians Theater zur Aufführung vorbereitet worden. In Theresienstadt konnten Reiner, Frýd und Burian ihr Projekt dann vollenden. Dass Karel Reiner gerade dieses Werk wählte, um es in Theresienstadt zur Aufführung zu bringen, war sicherlich kein Zufall. Der brisante Text des Volksstückes und sein aktueller Inhalt, der vor biblischem Hintergrund von der Rettung der Juden berichtet, waren Grund genug, es zu inszenieren.

nächste Seite