Epilog

Pavel Straka, Kurator der Ausstellung

Musikalische Werke, die im dramatischen 20. Jahrhundert auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik entstanden sind, finden in den Arbeiten des gebürtigen Saazers Karel Reiner einen Querschnitt. Sein Lebensweg begann vor dem Ersten Weltkrieg, in seine frühe Kindheit fiel die Gründung der Tschechoslowakischen Republik, und im ersten Jahrzehnt der „Normalisierung“ der Tschechoslowakei endete er. Er erlebte den Aufstieg des Henlein-Nationalismus, den Holocaust, die kommunistische Begeisterung und die Desillusionierung der linken Avantgarde im Stalinismus.
Wie viele seiner Generation wuchs Reiner in der musikalischen Schule von Josef Suk auf, aber die Ausformung seiner ästhetischen Sprache in den dreißiger Jahren ist auch von anderen Lehrern und Generationstrends beeinflusst und mit ihnen verbunden.
Der heutige Musikkenner sieht, wenn er die dreißiger Jahre in der Tschechoslowakei betrachtet, den harmlosen Halb- und Viertelton-Jazz von R. A. Dvorský, das originellere Werk von Jaroslav Ježek scheint aber hinter dem Horizont zu verschwinden, und die kompromisslose Herangehensweise E. F. Burians nicht nur im Bereich des Jazz, sondern auch in seiner von dörflicher Folklore beeinflussten Theatermusik, ist für das heutige Publikum ein eher historisches und unbekanntes Konzept.
Es war Burians Theater, das Karel Reiner viele Gelegenheiten gab, sein breites schöpferisches Talent einzusetzen, das im gesamten Spektrum der modernen Interessen des musikbegeisterten jungen Mannes lag, der vor seinem Eintritt in die Theaterwelt dem originellsten tschechischen Komponisten seiner Zeit begegnete: Alois Hába.
In Zusammenarbeit mit Hába begann er, nichtmitteleuropäische Musik für einheimische Hörer zu entdecken – die vom Balkan, arabische usw. Karel Reiner kann daher auch als einer der Begründer der tschechischen Ethnomusik (nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch) angesehen werden.
Die Kriegserfahrung, insbesondere in Theresienstadt, brachte etwas in sein Werk ein, das den Autor dieses Epilogs fasziniert: Es entstand ein Werk, das nur mehr als Abdruck in der Erinnerung der Schauspieler von Theresienstadt erhalten blieb, der Aufführung von „Esther“ – Jan Fischer, Hana Bělská, Zdenka Fantlová. Es kam daher zu einer unbeabsichtigten Rückkehr zum traditionellen Ansatz, der durch die genaue Notation der Meister des 19. Jahrhunderts „zerstört“ wurde.
Die Bemühungen, das Werk zu präsentieren, veranlassten mich 2016, vier Musiker an der Grenze zwischen Jazz und Folk dafür zu gewinnen, eine CD aufzunehmen, die nach einem anderen von Reiners Kriegswerken „Das Blumenpferd“ genannt wurde, und führten zum „Reiner-Projekt“, in dem die Sängerin und Pianistin Aida Mujačič neben Liedern aus „Esther“ und dem „Blumenpferd“ auch die „Drei Lieder der Liebe“ wiederbelebt.
Vielleicht können wir diese Fragmente seiner Arbeit und seines Lebens, die in dieser Ausstellung gezeigt werden, als einen möglichen Beginn zur Sichtbarmachung von Reiners Werk betrachten, das in der Nachkriegszeit auch in andere Richtungen vordrang, z.B. in Chorwerke.
Pavel Straka, Kurator der Ausstellung

Literatur und Quellenangaben

Milan Kuna: Dvakrát zrozený. Život a dílo karla Reinera, Praha 2008
Bořivoj Srba: O nové divadlo, Praha 1988
Eva Šormová: Divadlo v Terezíně 1941/1945, Ústí nad Labem 1973
Norbert Frýd: Květovaný kůň. Básně, hry a rýmovačky, Praha 1975
Norbert Frýd a Karel Reiner: Květovaný kůň dětské písně a sbory na básně, hry a rýmovačky Norberta Frýda : partitura, Praha 1974
Karel Reiner: Pěvecký soubor, Praha 1954
Zuzana Kočová: Kronika Armádního uměleckého divadla, Praha 1955
Josef Bek: Avantgarda. Ke genezi socialistického realismu v české hudbě, Praha 1984
kolektiv: Divadlo nové doby 1945-1948, Praha 1989
Milan Obst a Adolf Scherl: K dějinám české divadelní avantgardy, Praha 1962
Karel Reiner: Je ještě problematika soudobé hudby?, in Program D 47, č. 2, s. 59, Praha 1946
Jiří Vysloužil: Alois Hába. Život a dílo, Praha 1974
kolektiv: Theater – Divadlo, Praha 1965
kolektiv: Kultura proti smrti, Praha 2006
Milan Kuna: Karel Reiner (1910-1979). Der Komponist in seiner Zeit, ConBrio Verlagsgesellschaft 2014
Anke Zimmermann: Verfolgt, verdrängt, vergessen – Die Klavierwerke des tschechisch-jüdischen Komponisten Karel Reiner, Diplomarbeit

Karel Reiner, eines der letzten Fotos, September 1977
Text: Otokar Löbl und PhDr. Andreas Kalckhoff
Redaktion: Mgr. Petr Šimáček
Korrektorat dt. Texte: Tanja Krombach, Deutsches Kulturforum östliches Europa

Kontakt: : otokar.loebl@t-online.de