Seiltanz

„Vorwärts und kein Schritt zurück“, Agitationsplakat Februar 1948

1948 befand sich Karel Reiner in einer nicht zu beneidenden Lage. Er wurde ein Rädchen im Machtspiel der Kommunistischen Partei. Einige noch nicht korrumpierte Kommunisten versuchten, ihn als Gegengewicht zu jenen Leuten in der Partei zu platzieren, denen es hauptsächlich um Geld und Macht ging. Es war bekannt, dass er bereits in den dreißiger Jahren mit der antifaschistischen Linie der Kommunistischen Partei sympathisiert und während der Besatzung mit kommunistischen Zellen zusammengearbeitet hatte, um Menschen, die verfolgt wurden, zu helfen. Daher wurde er nun in das Ministerium für Information und Bildung eingeladen, wo sie versuchten, ihn davon zu überzeugen, in die kommunistische Partei einzutreten. Karel Reiner erlag dem Druck und unterzeichnete den Antrag auf Parteimitgliedschaft. Er blieb Mitarbeiter der OSA, der Autorenrechteverwaltung, musste aber nicht arbeiten. So wurde er der erste Komponist seiner Zeit, der sich ausschließlich seinem kompositorischen Werk widmen konnte, jedenfalls für ein Jahr lang. Was das Leben der Reiners in dieser Zeit zum Leuchten brachte, war die Geburt ihrer zweiten Tochter Katerina wenige Stunden vor Heiligabend 1950.     

Zeichnung im Satiremagazin „Krokodil“ in der UdSSR 1953

Es war aber auch eine Zeit, in der es zu einer Affäre in der UdSSR kam, als jüdischen Ärzten vorgeworfen wurde, die Grundlagen des sowjetischen Staatswesens zu untergraben, und so erhöhte auch die KPČ ihre „Wachsamkeit“ gegenüber Menschen jüdischer Herkunft. Er wurde ins Zentralbüro gerufen, wo  er dazu befragt wurde, ob er ein Anhänger des Zionismus sei. Das „Gespräch“ dauerte vier Stunden. Schon damals bedauerte er seinen Eintritt in die Kommunistische Partei. Die folgenden Jahre hatte er immer einen Koffer mit den nötigsten Dingen bereit. Er hatte Erfahrung damit, was er bei einer Deportation brauchte. Dennoch wurde er nach seinem Schaffensurlaub Leiter der Musiksbteilung des Zentralen Hauses für Volkskreativität. Zu seinen Aufgaben gehörte die Betreuung von „Volkskomponisten“ bei der Schaffung neuer Volkslieder. Für Karel Reiner war diese Tätigkeit in gewissem Maße eine Segen. Da er sich in einer führenden Position befand, wagte kaum jemand, ihm gegenüber scharf aufzutreten. Im Kalten Krieg und während der Kuba-Krise hing er immer noch dem Glauben an die Überlegenheit sozialistischer Ländern an, obwohl es für ihn und viele andere kommunistische Intellektuelle immer offensichtlicher wurde, dass die gegenwärtigen sozialistischen Regime weder in der Lage waren, erfolgreich zu wirtschaften, noch dass sie daran dachten, ihren Bürgern Mitsprache und Rechtsstaatlichkeit zu gewähren.      

Das bemerkenswerteste Werk Karel Reiners aus dieser Zeit ist eine Komposition für den Film Schmetterlinge leben hier nicht. Dieser Film war eine Dokumentation von Kinderzeichnungen aus dem KZ Theresienstadt in dramatischer Abfolge, die er mit Kommentaren und Musik versah. Diese Arbeit fand im Ausland große Anerkennung. Später erklärte er, dass es ihm mit dem Film, mit der Musik gelungen sei, die ganze furchtbare Zeit der Nazi-Besatzung und der Konzentrationslager zu verarbeiten, die ihm wie ein schweres Gewicht auf der Seele gelegen hatte, das er nicht los wurde.

 

 

Schmetterlinge leben hier nicht, ein Dokumentarfilm über das Leben der Kinder, die nach Theresienstadt deportiert worden waren, untermalt mit der Musik von Karel Reiners mit Volksmotiven. Der Film erhielt die Goldene Palme 1959 in Cannes. Er war auf der Grundlage der fünftausend Zeichnungen entstanden, die beim Abriss des Lagers Theresienstadt auf dem Dachboden des Kinderheims in zwei Koffern gefunden worden waren. Der Titel der Sammlung von Zeichnungen wurde von dem Gedicht eines jüdischen Jungen inspiriert. Dieses Gedicht entstand in Theresienstadt und endet mit den Worten: „Einen Schmetterling habe ich hier nicht gesehen. Schmetterlinge leben hier nicht, im Ghetto.“

Deportaion – Zeichnung der 13-jährigen Helga Weiss

 

Die „Symphonische Ouvertüre“ wurde am 12. Oktober 1964 vom Sinfonieorchester des Tschechoslowakischen Rundfunks unter der Leitung von Alois Klíma uraufgeführt. Die Aufführung fand im Smetana-Saal des Prager Gemeindezentrums statt.

 

Smetana-Saal im Gemeindezentrum in Prag

 

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