Finale

Beim Komponieren zu Hause am Klavier

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre öffnete sich die tschechische Musik schnell der Welt. Es begann ein Prozess, der nicht mehr gestoppt werden konnte, obwohl die Funktionäre  versuchten, ihn zu bremsen. Für Karel Reiner bedeutete diese Öffnung des kreativen Raums eine Bestätigung seines eigenen Weges. Er sah, dass er als Komponist nicht irrte. Aber der direkte Kontakt zur zeitgenössischen Weltmusik war schwierig. Dennoch durfte er in den folgenden Jahren in die Schweiz, nach West-Berlin, nach Hamburg und Belgien reisen, wo er Komponisten progressiver Musik kennenlernte. Dank dieses „Tauwetters“ veränderte sich auch Karel Reiners Position im tschechischen Musikleben. Er wurde zum Vorsitzenden des Komitees des Tschechischen Musikfonds ernannt. Aus den Steuermitteln, die der Fonds für literarische und künstlerische Aktivitäten erhielt, unterstützte er den gesamten Bereich des musikalischen Lebens in der damaligen Tschechoslowakei. Seine Position in der Musikwelt wurde zusätzlich durch seine Berufung in das Komitee des Urheberrechtsschutzverbandes weiter gestärkt. All dies änderte sich jedoch nach der Besetzung der Tschechoslowakei am 21. August 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes und der allmählichen Machtübernahme durch die Kommunisten, die die Reformen bekämpften und Moskau treu waren.

Sowjetische Panzer 1968 in Prag

Dies wirkte sich auch auf das kulturelle und musikalische Leben im Land aus. Karel Reiner bat Ende 1969 in einem Gespräch im ZK der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei um Entlassung aus der Partei. Zu dieser Zeit war ihm aber nicht bewusst, was das für Folgen haben würde und wie sich dieser geistig und sozial befreiende Schritt in seinem Leben widerspiegeln würde. Er musste alle seine Funktionen aufgeben, und seine Musik durfte außerhalb der Konzertaktivitäten des neu gegründeten Musikvereins nicht erklingen. Viele Künstler trauten sich nicht, seine Kompositionen zu spielen, obwohl sie diese im Repertoire hatten. Das war feige, aber nicht ungewöhnlich in dieser Zeit. In den fünfziger Jahren litt er darunter, dass seine Arbeit als „Formalismus“ kritisiert wurde, jetzt zielte die Verfolgung nicht auf sein Werk, sondern auf seine politische Haltung. Obwohl Karel Reiners Lage in den siebziger Jahren aufgrund dieser Diskriminierung eher trist war, hinterließ die soziale Ausgrenzung keine Spur in seiner Arbeit. Er arbeitete weiter mit Kraft und Intensität und rächte sich mit verschlüsseltem Spott. So komponierte er unter anderem Lieder für Gesang und Flöte aus den „Zahmen Xenien“ von J. W. Goethe. In der ersten Strophe heißt es: „Du Narr, du Narr! Begünstige die Pfuscherei, so bist du überall zu Hause.“

Premiere der „Marginalie“ im Haus der Künstler in Prag mit Josef Horák und Dr. Václav Smetáček

1978 war das letzte Jahr, in dem er bereits gesundheitliche Probleme hatte, aber er akzeptierte nicht, dass deswegen seine kreative Pläne beschnitten werden mussten. So komponierte er für großes Symphonieorchester „Drei symphonische Sätze“. Er hörte dieses Werk jedoch nicht mehr, weil seine einsetzende Krankheit dazu führte, dass er sich selbst nicht mehr um die Premiere seiner Schöpfung kümmern konnte. Sein letztes Werk war, komponiert im Januar 1979, die „Marginalie für Bassklarinette“. Er widmete sie Josef Horák, einem Avantgardist auf dem Gebiet der Interpretation.

Karel Reiner starb am 17. Oktober 1979 in Prag.

 

Bereits in den dreißiger Jahren hatte Reiner daran gedacht, eine Oper für das Puppentheater zu schreiben. 1972 verwirklichte er diesen Plan. Er komponierte eine abendfüllende „naive Oper“: „Von einem schrecklichen Drachen, einer Prinzessin und einem Schuster“, nach einem polnischen Puppenspiel von Maria Konwatska in der Übersetzung von Kamil Bednář. In der Handlung verbinden sich Elemente verschiedener slawischer Märchen, und in der Musik wechseln sich opernhafte mit volksliedhaften Episoden, Kinderlieder mit moderner Tanzmusik ab. Nach der tschechischen Premiere 1974 wurde die Oper im Oktober 1976 in der DDR unter dem Titel „Schustermärchen“ einstudiert. Dazu fand eine Vorpremiere für Kinder statt. Zu weiteren Vorstellungen in Eisleben, die auch an den Weihnachtsfeiertagen stattfinden sollten, kam es nicht mehr. Die Vorstellung wurde von Staats wegen untersagt, weil der Komponist angeblich die konterrevolutionäre Petition „2000 Worte“ unterschrieben hatte, die zum Fanal der Kontrarevolution von 1968 wurde.

Für Kinder komponierte Reiner mit großem Vergnügen unter anderem die „Mäuse-Miniballaden für Gesang und Klavier“ und „Drei Lieder für den Kindergarten“ nach den Texten von Jiří Havel. Die Aufführungen der Miniballaden erlebte er nicht mehr.

„Drei Kompositionen für Klavier“, mit Widmung für Ema Kovárnová

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